[Talk-de] OSM und Politik
Markus
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Sa Mai 29 09:59:51 UTC 2010
Guten Morgen Ulf!
Du schneidest grundsätzliche Fragen an - deshalb habe ich mir erlaubt,
mal den Betreff zu ändern.
Du beziehst Dich auf
http://wiki.openstreetmap.org/wiki/de:Nichtraucherschutz_Bayern
wo ich die Idee zu einer Spezialkarte zusammengefasst habe.
Du schreibst:
> Ich möchte nicht, daß OSM für politische Kampagnen missbraucht wird,
+1
Ein interessantes Thema...!
Historisch ist es ja so, dass Karten strategisches Material waren.
Wer bessere Karten hatte war klar im Vorteil.
Deshalb waren Karten sogar geheim, Kartografie galt als Spionage.
Das ist heute nicht anders: Geodaten sind höchst wertvolle Information.
Und damit hoch politisch (und wirtschaftlich) bedeutsam - auch wenn das
nicht immer auf den ersten Blick offensichtlich erscheint (zumindest der
politische Teil nicht).
> Es kann nicht Ziel von OSM sein, bestimmte politische (religiöse, ...)
> Meinungen zu vertreten
Da bin ich absolut einverstanden.
"OSM" (als Metapher für die nichtexistente Organisation dahinter)
soll keine gezielte politische oder religiöse Meinung vertreten.
Ausser eben diejenige der Freiheit für Geodaten und der Freiheit der
Menschen.
Das verhindert aber nicht, dass die Gemeinsachaft aller OSMer, also OSM
in der Aussenwirkung, implizit immer auch politisch ist und wirkt.
Beispiele:
- Krisenkartografie
- Kartografie in China, Taiwan und Tibet
- Nord-/Süd- und West-/Ost-Gefälle
- freie Karten vs. proprietäre Karten
- Privatsphäre vs. Datenfreiheit
In der Binnenbetrachtung ist OSM sowieso immer politisch, entsprechend
der politischen Haltung und Aktivität der einzelnen OSMer.
Schon die Entscheidung zur Erfassung bestimmter Objektklassen und die
Gestaltung der Attribute ist eine politische, und die Entscheidung
welche Objekte wie auf welcher Zoomstufe gerendert werden sowieso.
Auch die Verfügbarkeit von Methoden und Hardware ist/wirkt politisch.
> Ziel einer freien Karte
In der Pressegruppe gibts den Slogan:
*freie Karten für freie Bürger*
(analog zu "freie Daten für freie Bürger")
Was das aber genau heisst (ausser eben, dass jeder die gesammelten Daten
frei und kostenlos nutzen darf, und dass er die Daten auch selbst
erfassen und ändern darf) - das ist noch sehr wenig beschrieben.
Bisher gilt mehrheitlich: alles ist erlaubt, Speicherplatz gibt es
genügend, Einschränkungen sind nicht erforderlich.
Und: achte die Arbeit der anderen.
Bisher hat diese freie Haltung gereicht, um ein weitestgehend
konstruktives und freundschaftliches Miteinander zu gewähleisten.
Mit zunehmender Dichte OSMer/Fläche, mit zunehmender Datendichte und mit
zunehmender Bekannthet von OSM nimmt auch das Konfliktpotenzial zu.
Fragen zu "Relevanz" und "Verlässlichkeit" tauchen auf, und jetzt auch
eben Deine Frage zu politischen und religiösen Meinungen.
Das sind alles Themen, die bisher wenig bewusst oder gar diskutiert
sind. Da steht uns noch einiges bevor. Und ich kann nur hoffen, dass uns
das verfahrensmässig besser gelingt als bei Wikipedia (dazu gabs ja
neulich einen interessanten Thread: "Was können wir von Wikipedia lernen").
Diese Themen werden uns in den nächsten Jahren wahrscheinlich noch
intensiv beschäftigen. Ich freue mich, dass Du sie ansprichst.
- - - -
Dein konkretes Anliegen betrifft (so habe ich Dich verstanden) eine
Anwendung der OSM-Daten in einer Spezialkarte: die Darstellung der vom
Volksentscheid "Nichtraucherschutz" in Bayern betroffenen Gaststätten.
Du fürchtest Pressemeldungen wie:
> "OpenStreetMap setzt sich für aktiven Nichtraucherschutz ein"
Und dass damit die Gemeinschaft in zwei Lager gespalten werden könnte.
Ja, da müssen wir vorsichtig sein.
Korrekt müsste es heissen:
"Bürgerentscheid 'Nichtraucherschutz' nutzt OSM-Daten"
oder: "Erste umfassende landesweite Datenbank über Gaststätten"
oder: "OSM spendet dem Freistaat Bayern verlässliche Geodaten - im
Gegenzug erhält OSM [...]" :-)
Das wäre dann ein weiterer kleiner Erfolg für OSM, und würde uns als
Gemeinschaft weiter stärken.
Aktualität ist ja eines unserer Qualitätsmerkmale.
Ich finde, das sollten wir in praktischen Anwendungen nutzen.
> einseitig formuliert
Es ist ja auch ein Volksentscheid: Bürger gegen Staat ;-)
Dazu mus man wissen, dass der Freitaat Bayern den Nichtraucherschutz
bereits beschlossen und umgesetzt hat, aber die regierende Partei hat
danach kalte Füsse bekommen und aus wahltaktischen Gründen den Schutz
wieder aufgehoben. Dagegen wehrt sich nun eine breite
parteiübergreifende gesundheitspolitische Bürgerbewegung.
Noch ist das Karten-Projekt ja nur eine Idee - und wie Du weisst kann
ich sie nicht selbst umsetzen. Ob überhaupt etwas daraus wird, und ob
rechtzeitig - das hängt davon ab, ob jemand die Idee aufgreift und
realisiert.
Mit herzlichem Gruss,
Markus
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