[Talk-de] 5 Jahre OSM - eine persönliche Bilanz

Stephan Wolff s.wolff at web.de
Mi Jul 17 00:03:01 UTC 2013


Moin,

am 16.7.2008 habe ich meinen ersten Beitrag zu OpenStreetMap geleistet.

Damals war selbst in unserem Landeshauptdorf Kiel das Straßennetz nur zu 
einem kleinen Teil erfasst. Ich bin oftmals mit meinem alten GPS12 durch 
die Straßen und Wege geradelt, habe an relevanten Punkten den 
Markerknopf gedrückt, zu Hause die Daten per seriellem Kabel übertragen 
und in die OSM-Datenbank hochgeladen. Mit Potlatch 0.x ließen sich die 
OSM-Daten zusammen mit den gerade übertragenen Tracks darstellen und 
editieren.
Es gab damals nur wenige elementare Tags, die auch für einen Einsteiger 
schnell erlernbar waren, aber noch keine Relationen. Als Datenquellen 
gab es neben den GPS-Tracks nur schlecht aufgelöste Landsat-Bilder, die 
allenfalls eine grobe Abschätzung von Wäldern und Seen erlaubten. Die 
Editoren hatten noch manche Schwäche, so dass leicht ein fälschlich 
unverbundener Weg entstand. Trotzdem war fast jeder Beitrag ein Gewinn 
für OSM.
Die Änderungen erschienen manchmal nach wenigen Stunden auf der 
Osmarender-Karte, aber die Mapnik-Karte wurde nur einmal pro Woche 
aktualisiert. Eine nicht geschlossene Fläche oder ein falsches Tag 
blieben so eine ganze Woche sichtbar.

Seitdem hat sich eine Menge getan. Ich bin mir nach kurzer Zeit ein 
Garmin eTrex Vista HCx zugelegt und konnte an meinem neuen Laptop auch 
mit JOSM flüssig arbeiten. Die Editoren wurden immer leistungsfähiger.
Das Straßennetz ist in Deutschland fast vollständig erfasst.
Mit den Luftbildern von Aerowest und vor allem Bing ist die 
Datenqualität sehr gestiegen und es können auch Strukturen, wie Knicks 
und Bäche erfasst werden, die vorher kaum zugänglich waren.
Auf der Mapnik-Karte erscheinen Änderungen jetzt schon nach wenigen 
Minuten. Es entstehen immer mehr Projekte, die OSM-Daten nutzen und 
auswerten. Er werden immer mehr Details und Zusatzinformationen in OSM 
erfasst.

Trotzdem gibt es für mich auch einige Wermutstropfen.
Gerade die vielen Details machen einige Karten unübersichtlich, die 
Routeranweisungen zu kompliziert und viele Auswertungen unmöglich, wenn 
viele Elemente ohne Zusammenhang in der Datenbank stehen. Selbst im 
Kernbereich von OSM gibt es kaum Datenstrukturen, die mehrere ways zu 
einer Straße, mehrere Kreuzungspunkte zu einer Straßenkreuzung oder 
mehrere Ausfahrten zu einem Autobahnkreuz zusammenfassen.
In vielen Bereichen werden immer neue Daten erfasst, ohne dass Aussicht 
auf einen Grad an Vollständigkeit besteht, der für eine breite Nutzung 
nötig ist. Selbst überschaubare Fortschritte, wie etwa 
Höchstgeschwindigkeiten aller Autobahnen zu erfassen, gelingen nicht.
Das ÖPNV-Modell ist gescheitert. Buslinien mit mehreren Varianten lassen 
sich kaum damit umsetzen. Eine Straße, über die fünf Buslinien in 12 
Varianten führen, ließe sich bei vollständiger Erfassung der Linien auch 
nicht mehr sinnvoll editieren.
Es hat sich leider keine demokratische Kultur gebildet, bei der die 
Mapper gemeinsam über die weitere Richtung von OSM entscheiden.
Viele Fragen, die schon vor Jahren diskutiert wurden, tauchen immer 
wieder auf, ohne dass es einen Weg zur Entscheidung gibt.
Für eine Neueinsteiger werden die Einstiegshürden immer größer, zum 
einen unvermeidlich, da es immer mehr und komplexere Daten gibt, die man 
nicht zerstören darf, aber zum anderen unnötig, da die Regeln und 
Gebräuche nur unvollständig und teils widersprüchlich im Wiki abgelegt 
sind und daneben viele weitere Informationsquellen mit schlecht 
auffindbaren Diskussionen.
Die Entscheidung, die vielen Spezialkarten und Anwendungen nicht über 
die zentrale Webseite osm.org zugänglich zu machen, erschwert die 
Wahrnehmung und Nutzung (und indirekt die Finanzierung) von OSM.
Anwendungen, die nur über tief verschachtelte Wikiseiten oder eine 
Google-Suche zugänglich sind, werden kaum genutzt.

Ich verbinde dennoch viel positives mit meinem Engagement für OSM.
Um fehlende Wege auszumessen, bin ich in viele Sackgassen und Feldwege 
gefahren und habe manch interessantes Detail entdeckt. Ich habe Ausflüge 
in schlecht erfasste Gegenden gemacht, die ich sonst nicht besucht 
hätte. Beim Editieren ergaben sich immer wieder Fragen, die mich zu 
Google-Recherchen animieren. Ich habe viele Diskussionen im Forum und 
talk:de mitgelesen und dabei einiges gelernt. Der Umgang miteinander war 
dort meist freundlich und konstruktiv. Und natürlich nutze ich auch die 
OSM-Daten, oft auf Reisen und zu deren Vorbereitung.

Jetzt ist es wieder einmal spät geworden und meine persönliche Bilanz 
aus 5 Jahren mit OSM, die natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit 
und Objektivität erhebt, erscheint einen Tag zu spät :-).

Stephan (aka seawolff)





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