[Talk-de] [OT] Missverständnisse 2.0: Google Maps hat Schuld an Morden?

Wuzzy wuzzy2 at mail.ru
Mi Mär 20 17:43:57 UTC 2013


Die Frage »Ist Google Maps Schuld an Morden?« kann ich mit einem ganz
klarem »Nein!« beantworten.

Ich bin vom Deutschlandradio wirklich weniger reißerische Schlagzeilen
gewöhnt.

Aber das Deutschlandradio hat eh nur eine Meldung von der Huffington
Post kopiert, selbst haben sie inhaltlich nichts zu sagen. Der Artikel:
http://www.huffingtonpost.com/2013/02/11/google-earth-error-murder_n_2664042.html

Da da der eigentliche Inhalt steht, beziehe ich mich darauf.

Der Artikel liest sich so, als wäre jetzt Google dafür verantwortlich,
dass diese beiden Menschen sterben mussten, und nicht ihr Mörder. Das
ist natürlich Blödsinn.

Der größte und fahrlässigste Trugschluss in diesem Artikel (welcher bei
Deutschlandradio übernommen wird) ist diese stillschweigende Annahme,
dass die Menschen hinter einem Kartendienst (egal welchem), irgendeine
Form an Schuld oder zumindest nur eine moralische Mitschuld an den
Morden tragen, weil die Daten falsch waren.
Es ist deshalb ein Trugschluss, weil, wären die Kartendaten in diesen
Fällen korrekt gewesen, hätte es die Verwechselung nicht gegeben. Das
hieße einfach nur, dass statt den "falschen" die "richtigen" Menschen
umgebracht würden. Die Sache kann ich sogar noch ins absurde ziehen,
indem ich sie umdrehe: Wenn Meredith implizieren kann, dass
Kartenfehler Leben kosten (nämlich die Leben der irrtümlich
ermordeten), dann kann ich auch gleichzeitig behaupten, dass
Kartenfehler Leben retten (nämlich die Leben der irrtümlich _nicht_
ermordeten!).

Die Kartendaten sind höchstens nur indirekt Schuld daran, dass die
_falschen_ Menschen ermordet werden (aber was heißt DAS schon?), nicht
aber, _dass_ Menschen ermordet werden.

Da ich selber bei OpenStreetMap relativ aktiv bin, bin ich auch
einer dieser Kartenmacher. Der Artikel ging nur um Google, aber die
Rhetorik wendet sich gegen alle Kartenmacher, somit auch mich. Das kann
ich nicht auf mich sitzen lassen. Drastisch formuliert:
Mein Gewissen wöge keine Mikrogramm mehr, wenn in irgendeinem Haus
jemand "irrtümlicherweise" ermordet würde, weil die Hausnummer (oder
was auch immer) falsch wäre und dieser Fehler stamme von mir. Viel eher
würde ich mir ernsthafte Gedanken um die Sicherheit in meiner
Nachbarschaft machen, wenn Auftragsmörder einfach so ihr Unwesen
treiben können und so schnell wie möglich abhauen.

Zu den Themen Auftragsmörder und Moral siehe auch
"Hitman Finds Morals" von Third String Kicker Comedy
<http://youtu.be/ZrxSiDQIrgU>.


Dann dieser Satz:
> Mapping apps and services have played a role in several recent crimes
> and mishaps.
Blafasel und blablubb. Diese Aussage ist zwar sachlich absolut korrekt,
aber sie bedeutet rein gar nichts. Es ist nur Geschwafel. Eine Analogie:
Bevor es das Internet gab, gab es ausgedruckte Straßenkarten, die
(Überraschung!) auch von Mördern benutzt wurden. Trotzdem käme wohl
kaum einer auf die Idee, zu sagen, dass Straßenkarten eine Rolle in
diversen Verbrechen gespielt haben. Weil … na und? Nur weil Mörder
Straßenkarten benutzen, trifft die Ersteller der Karte keine Schuld.
Das ist bei digitalen Karten genauso, ergo ist dieser Satz
bedeutungsschwangeres Gefasel.
Zum »Zusammenhang« von Kartenanwendungen mit Verbrechen siehe auch "The
Heist" von Third String Kicker Comedy
<http://youtu.be/PhqojNDWYxo>.


Abgesehen davon müssen das alles ausgesprochen unfähige Mörder bzw.
Auftraggeber gewesen sein, denn da muss ja wirklich alles
schiefgelaufen sein:
Erstens gibt/gab es ja den bekannten Kartenfehler. Daran sind weder
Mörder noch Auftraggeber schuld.
Zweitens haben alle Mörder sich nicht die Mühe gemacht, auf die
Hausnummer (die Reale!) zu gucken, bevor sie das Haus betreten.
Drittens hätte den Mördern spätestens beim Anblick ihrer Opfer klar
sein müssen, dass sie den »falschen« auflauern, wegen anderem Aussehen
etc. Da es ihnen aber offensichtlich auch da nicht klar wurde, weist
das darauf hin, dass die Auftraggeber den Mördern wohl noch nicht mal
ein Foto oder ähnliches gegeben haben, vielleicht nur eine sehr vage
Beschreibung, noch nicht mal, wie das Haus aussieht usw.

Daran, dass es »die Falschen« erwischt hat, hat also mehr die
Stümperhaftigkeit der Mörder bzw. Auftraggeber Schuld als die der
Kartenmacher. Deshalb hab ich ein paar Absätze vorher auch nur von einer
indirekten Schuld geschrieben.

Bei dieser Art von Journalismus weiß ich, warum ich keine
Zeitungen aufschlage. Ja, ich frage mich, wozu ich eigentlich diesen
Link angeklickt habe.




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