[Talk-at] Massenedits ohne Absprache
Friedrich Volkmann
bsd at volki.at
Tue Sep 7 08:58:41 UTC 2021
Ich finde, es gebührt allein schon der Anstand, Objekte, die wer anderer
gemappt hat, nicht nach eigener Lust und Laune umzutaggen, wenn man selber
nichts beiträgt. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das dezidiert irgendwo im
Wiki steht. Was jedenfalls mindestens seit 2008 drinsteht, ist, dass das
nicht in größerem Umfang geschehen soll. Das Regelwerk nennt sich
"mechanical edits policy" alias "automated edits code of conduct"
(https://wiki.openstreetmap.org/wiki/Automated_Edits_code_of_conduct). Neben
automated (alias mechanical) edits, die komplett per Script ausgeführt
werden, sind auch semi-automated edits gemeint, d.h. wenn jemand sich alle
Objekte mit bestimmten Tags automatisiert (z.B. über die Overpass-API)
heraussucht und dann "manuell" in einem normalen Editor nach einem
bestimmten Schema bearbeitet.
Das Wesentliche an dieser Policy ist, dass solche Änderungen vorher in einer
größeren Community, z.B. einer passenden Mailingliste, diskutiert werden
sollen. Gefordert ist sogar, einen separaten User und eine Wikiseite
anlegen. Ein Beispiel, wie so etwas gewissenhaft durchgeführt werden kann,
lieferte ScubbX beim Import des Wiener Baumkatasters.
Man kann darüber streiten, ob es für kleinere automatisierte Änderungen Sinn
macht, einen eigenen User dafür anzulegen, aber zumindest hilft das, die
automatisierten Edits von solchen auseinander zu halten, wo der selbe Mapper
die Daten vor Ort aufgenommen hat. Insbesondere werden, wenn etwas
schiefgelaufen ist, Reverts vereinfacht, weil es ein Script gibt, das alle
Edits eines Users auf einmal rückgängig macht. Bzw. wenn ein User ein Objekt
mehrmals bearbeitet, ist ein sauberer Revert überhaupt nur dann möglich,
wenn man diese Scriptfunktion nützt. Idealerweise sollten die Edits aber
vorher soweit ausdiskutiert sein, dass Reverts sowieso nicht nötig sind,
wenn nicht grad ein unvorhergesehenes technisches Malheur passiert.
Zweifellos kennen die meisten User die Policy nicht und kommen somit erst
gar nicht auf die Idee, einenen separaten User anzulegen. Aber es sollte
doch auf der Hand liegen, dass man in einen Datenbestand, der das Ergebnis
langjähriger Arbeit vieler Menschen ist, nicht ohne zu fragen mit einem
Massenedit drüberfährt.
Dass das trotzdem immer wieder passiert, liegt vielleicht am naivem Glauben
an die Software ("Computer machen keine Fehler"). Wenn ein Validator einen
Fehler anzeigt, dann geht jeder davon aus, dass da einer ist und behoben
gehört. Dass der Fehler nicht in den Daten, sondern im Validator liegt,
liegt außerhalb des Vorstellungsvermögens. Niemand denkt daran, dass
Computerprogramme auch nur von Menschen gemacht werden und so manche Prüfung
auf einen Spleen einer einzigen Person zurückgeht. Das gleiche gilt fürs
Wiki, wo keiner in der History (Versionsgeschichte) überprüft, welche
Behauptungen auf einen Konsens zurückgehen und welche nur von einer
einzelnen Person ohne Diskussion hineingeschrieben wurden.
Aber spätestens wenn man hunderte Objekte umgetaggt hat und der Validator
immer noch überall Fehler anzeigt, sollte doch jedem ein Licht aufgehen ("so
viele Geisterfahrer?"). Und Leute, die schon Jahrelang dabei sind und
tausende Edits hinter sich haben, sollten eigentlich wissen, dass viele Tags
kontroversiell sind und sich somit nicht "korrigieren", sondern bestenfalls
dem eigenen Geschmack anpassen lassen.
Dennoch kommt es immer wieder zu unabgesprochenen Massenedits, z.B.:
das Löschen aller osmarender:* Tags durch NE2
das Löschen aller is_in=* durch JM82
das Zusammenhängen benachbarter Wege durch ratrun
das Zerstückeln von "touching inner rings"
das Herausnehmen von Wegen aus Landuse
das Herausnehmen von Gemeinde/Bezirk aus den Namen von Gebietskörperschaften
das verlustbehaftete Umtaggen von power=sub_station auf power=substation
das verlustbehaftete Umtaggen von type=broad_leaved auf leaf_type=broadleaved
die Aufnahme von ref=* in die Namen der NÖ Landesstraßen
das Abschreiben falscher Straßennamen aus der Basemap
das Hinzufügen von foot=yes und bicycle=yes zu barrier=*
das Umtaggen aller highway=ford auf ford=yes
Manche dieser Änderungen sind mir persönlich egal (z.B. is_in), aber andere
haben für Anwender z.T. schwerwiegende Konsequenzen (z.B. wenn sie Bezirke
nicht mehr von Gemeinden unterscheiden können) oder auch für mich als Mapper
(z.B. wenn jemand meine Multipolygone so verändert, dass sie nicht mehr
wartbar sind). In solchen Fällen nehme ich mir viel Zeit, die Probleme
anzusprechen (Mailingliste, Changeset-Kommentare, PMs, Wiki...). Wenn mir
jemand massiv in meine Daten reinfährt, dann versuche ich natürlich auch,
das rückgängig zu machen. Wenn es nur einzelne Änderungen sind, revertiere
ich sie selber. Wenn es aber zu viele sind, dann wird das sehr aufwendig,
und es geht dann auch darum, dass jene Leute das künftig nicht wieder
machen. Leider war es bisher fast immer so, dass sie, wenn man sie
anschreibt, entweder gar nicht oder nur kaltschnäuzig reagieren. Manche
werden für die Edits sogar bezahlt und können deshalb gar nicht aufhören.
Außerdem macht man sich mit Reverts selber unbeliebt und es kommt dann zu
einer Schuldumkehr: Es heißt dann: "Warum hast du ohne wen zu fragen diese
Änderungen rückgängig gemacht?"
Darum bin ich zunehmend dazu übergegangen, für Reverts die DWG
anzuschreiben. In manchen Fällen erfolgreich, aber mir kommt vor, dass sich
die DWG immer mehr aus Streitigkeiten herauszuhalten versucht und in etwas
sagt: Macht euch das selber aus.
Jetzt gibt es einen Fall, wo jemand mit den folgenden Changesets alle
Klettersteige, die er gefunden hat, von highway=path auf highway=via_ferrata
umgetaggt hat:
107519354
107519614
107519790
107519853
107519924
107519957
107519998
107520044
107520081
107520126
107520191
107520214
107520240
107520278
107520316
107520330
107520435
107520499
107520534
107520553
107520571
107520589
107520631
107520645
107520667
107520747
107520771
107520799
107520823
107520830
107520850
107520893
107520923
107706137
107706237
107706318
107706446
107706549
107706614
107706705
107706840
107706895
Faktisch ist es nicht nur ein Umtaggen, sondern eine Löschung, weil diese
Steige damit aus den meisten Karten verschwinden. Und genau das war die
Absicht. Denn die Meinung dieses Users, der nur mit der Seilbahn
raufgefahren ist, ist, dass ein Steig, der etwas mit "Klettern" im Namen
hat, gefährlich ist und das keiner in Versuchung kommen soll, dort hin zu
gehen. Das ist natürlich hinten und vorne nicht richtig, denn die
Bezeichnung "Klettersteig" hat eine Bedeutungsveränderung durchlaufen (sie
steht heute für Steige, die mit Versicherungen ausgestattet sind, welche
eine Begehung einfacher und ungefährlicher machen), und wer den versicherten
Steig nicht in der Karte sieht, verirrt sich dann leicht auf einen
unversicherten (z.B. https://noe.orf.at/v2/news/stories/2800135/) oder gerät
überhaupt in wegloses Gelände, weil er am GPS-Gerät nicht sieht, wo der
Steig weitergeht. Auf die Weise sterben immer wieder Menschen. Nicht
theoretisch, sondern wirklich.
Die Sache ist also sehr ernst. Aber ich will hier keine Tagging-Diskussion
anfachen und vermied das auch in meiner Meldung an die DWG. Sondern der
Punkt ist einfach, dass das ein Massenedit war, der gegen den automated
edits code of conduct verstößt und allein schon deshalb rückgängig gemacht
gehört.
Nun passierte aber etwas Unerwartetes: Bei der DWG bearbeitete jemand, den
ich bisher noch nicht kannte, den Fall und war damit offenbar überfordert.
Er revertierte seine eigenen Reverts, schlug dem User dann nur vor, mich zu
kontaktieren (was der natürlich nicht gemacht hat), und beantwortete mein
letztes Mail gar nicht mehr.
Wie gehen wir in so einem Fall vor? Wenn ich den User anschreibe, lacht der
mich nur aus, jetzt wo er sogar den Segen der DWG bekommen hat. Die
Änderungen selber rückgängig machen kann ich nicht, nachdem inzwischen die
Hin-und-her-Reverts der DWG drübergelaufen sind. Und Changesets der DWG zu
revertieren traue ich mich nicht.
--
Friedrich K. Volkmann http://www.volki.at/
Adr.: Davidgasse 76-80/14/10, 1100 Wien, Austria
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