[Talk-de] Bericht von der State of the Map-Konferenz
Frederik Ramm
frederik at remote.org
Mo Jul 14 20:17:56 UTC 2008
Hallo talk-de-Liste,
ich komme gerade von der "State of the Map"-Konferenz in Limerick
zurueck und erzaehle hier kurz, wie es war. Es soll kein Blogeintrag
werden, daher verkneife ich mir, ueber die Bahn, die Luftfahrt, die
irischen Strassen oder die Qualitaet des Tees im Hotel zu sprechen und
erzaehle nur mal so von ein paar Vortraegen, die ich bemerkenswert fand.
Frueher oder spaeter wird es alle Vortraege mit Folien+Video+Ton im Netz
geben.
Am Samstag eroeffnete Robert Barr mit einer Fabel ueber eine
Strassenschilder-Firma, die finanzschwachen Staedten anbietet, kostenlos
alle Strassen ordentlich zu beschildern - erst nach Unterschreiben des
Vertrags stellt die Stadt fest, dass die Schilder fuer den Normalbuerger
unlesbar sind, wenn er nicht die exklusive Spezialbrille kauft, die von
derselben Firma herausgegeben wird. Die Firma verspricht der Stadt einen
Anteil am Gewinn aus dem Brillenverkauf, und alle sind gluecklich (bis
auf den Normalbuerger).
John McKerrell von Multimap (gehoert jetzt zu Microsoft) erzaehlte, wie
sie verschiedene Crowdsource-Daten in ihr Kartenangebot einbinden -
Wikipedia, Flickr, und auch testweise OSM, aber da sind sich die
Multimap-Anwaelte nicht sicher, ob das mit der Lizenz geht, und daher
ist das nicht oeffenlich. Ed Freyfogle von der Immobilienplattform
"Nestoria" (gibt es bald auch in .de) war da etwas unbesorgter; sein
Problem mit OSM war eher, dass einige Sachen nicht ganz leicht zu nutzen
sind ("gib mir alle U-Bahn-Stationen in Deutschland" - fuer den Perl-
oder PostGIS-Hacker eventuell einfach machbar, aber nicht fuer den
unbedarften Nutzer). Er sagte, dass seine Firma auch gern mit Geld
nachhilft, wenn jemand OSM auf dem Weg zu besserer Nutzbarkeit
weiterbringen will. (Ich persoenlich finde die Nutzbarkeit gegenueber
den Endnutzern eigentlich weniger wichtig als die Nutzbarkeit gegenueber
den Mappern, aber das kommt halt drauf an, wen man fragt.)
Dair Grant sorgte mit seinem Vortrag fuer etwas Ernuechterung. Vor etwa
einem halben Jahr hatte er mal eine Untersuchung in der Naehe seines
Wohnortes gemacht und war dabei auf rund 80 Fehler in TeleAtlas-Daten
gestossen (die bei OSM besser waren). Nun ist er umgezogen und hat das
gleiche mal in einer etwa gleich grossen und oberflaechlich auch
"vollstandig" aussehenden Gegend in Edinburg gemacht und fand bei
OpenStreetMap etwa doppelt so viele Fehler wie im TeleAtlas-Material
seines alten Wohnortes. Er fand das zwar nicht schlimm, aber natuerlich
piekst einen sowas schon ein bisschen. (Sollten wir in Deutschland auch
mal machen, stichprobenartig - zufaellig einen Bereich auswaehlen und
ganz gruendlich OSM und TeleAtlas und Realitaet vergleichen. Leider ein
zu langweiliges Thema fuer den Wettbewerb, fuerchte ich...)
Peter Miller arbeitet fuer die Firma ITO, die Verkehrsanalysen und
-Projekte fuer Transportunternehmen macht. Er hat alle ueberrascht mit
einem Tool, mit dem man vieles von dem vorwegnehmen kann, was API 0.6
bringen soll: Bestimmte Gebiete "subscriben" und - derzeit nur
woechentlich, spaeter aber taeglich - Informaionen dazu sehen, wer wann
was wo darin veraendert hat. Man muss sich bei dem Service anmelden und
die Rechtecke spezifizieren, die man will, und danach kann man
verschiedene Feeds bekommen und Analysen zusammenklicken. Sieht sehr
vielversprechend aus; derzeit nur .uk im Datenbestand, aber bis Ende des
Monats die Welt. (http://www.itoworld.com/ -> "OSM Mapper".)
Jani Patoallio von Wikitravel hat erzaehlt, wie sie OSM-Daten nutzen, um
ihre On-Demand-Buecher zu drucken. Das Pfiffige dabei ist, dass sie eine
automatische Verknuepfung aus dem Text- in den Kartenteil gebaut haben
(wenn im Text-Listing "Hotel Ernst" vorkommt, sucht deren Programm das
passende Hotel im OSM-Ausschnitt und macht einen Nummernmarker hin).
Sebastian Schmitz hat den Euch allen schon bekannten
openrouteservice.org vorgestellt, und die Leute koennen es kaum
erwarten, dass es das fuer .uk auch gibt ;-)
Ich habe in meinem Vortrag ein bisschen ueber moegliche Risiken
fabuliert, denen OSM in der Zukunft ausgesetzt sein koennte: Was, wenn
die "Boesen" uns inflitrieren und verklagen, wenn sich die rechtliche
Situation aendert, wenn unsere Server alle am Anschlag ist, wenn die
Community sich auseinanderlebt undsoweiter. Ich habe mich aber auf das
Aufwerfen laestiger Fragen beschraenkt, die Antworten mussten die Leute
schon selber finden ;)
Am Sonntag kam dann die Begruessungsrede von Steve Coast - am Samstag
frueh war der noch aus den USA unterwegs. Nicht viel neues, ausser, dass
er halt massiv in den USA "evangelizing" betreibt und dass seine Firma
einen Style-Editor fuer Mapnik gemacht hat (wann/wie der "rauskommt" ist
aber noch unklar). Steve sagte unter anderem auch: Wenn ihr ueberlegt,
einen neuen Renderer, Editor oder Router fuer OpenStreetMap zu
schreiben, dann denkt doch lieber mal darueber nach, wie ihr das
existierende verbessern koennt. - Das entspricht nicht meiner Meinung,
ich finde, jeder darf seinen eigenen OSM-Editor schreiben, wenn er will.
Ed Parsons, Kartenchef von Google, versuchte, die Wogen ein bisschen zu
glaetten: Map Maker sei kein Angriff auf OSM, sondern mehr eine
Verzweiflungstat - Google *wuerde* ja Daten von Island, Zypern oder der
Karibik kaufen, wenn ihnen jemand welcher verkaufte - aber es gebe ja
keine, also der Map Maker. Die Software dahinter ist mehr oder weniger
das gleiche, was Google seit langem intern zur Datenerhebung z.B. in
Indien oder Burma einsetzt. Google lasse sich derzeit von den Nutzern
alle Rechte abtreten, aber nur so habe Google spaeter auch die
Moeglichkeit, eine "offene" Lizenz zu waehlen, die ihnen geeignet
erscheint. Er halte es durchaus fuer moeglich, dass die Daten irgendwann
"frei" werden, und sie wollen OSM auch weiterhin unterstuetzen. - Er
erzaehlte, dass auch Google viel Stress mit Zypern hat. Fuer die
Luftbilder der Gebiete, die fuer Map Maker freigeschaltet sind, hat
Google extra die Lizenz aufgestockt - normalerweise haben sie nur eine
Anzeigelizenz, und fuer diese Gebiete haben sie jetzt auch eine
Abdigitalisier-Lizenz. Auf den Vorschlag, man koennte doch diese
Abdigitalisier-Lizenz dann an OSM weitergeben als "nette Geste"
antwortete er aber, das dass nicht so ohne weiteres moeglich sei. Also
mein persoenliches Fazit: Nett, dass Es (wieder) da war, es zeigt
immerhin, dass sie uns dafuer ernst genug nehmen, aber ob es viel mehr
bedeutet, weiss ich nicht.
Andy Allan berichtete von der Cycle Map (seine treuesten User sind die
Deutschen, wie es scheint). Die Daten, die er durch die Gegend
schaufelt, sind betraechtlich - besonders, weil die Tiles wohl immer
noch auf seinem Heim-PC errechnet und dann in die USA auf den Server
kopiert werden muessen. (Und das, obwohl er inzwischen Technikchef von
Cloudmade ist.)
Ben Clayton von HP erzaehlte ueber "Pervasive Computing", das ist eine
schmuckvolle Ausrede fuer die Entwicklung von Computerspielen auf
mobilen Geraeten (sag ich mal so ganz platt). Sie haben eine Software
gemacht, mit der man ortsabhaengige Spiele definieren kann, die dann auf
sowas wie einem N95 oder N810 laufen. Ein Beispiel dafuer ist z.B.
"Escape from the Tower", es spielt im Londoner Tower, und wenn man mit
dem Geraet in die Naehe bestimmter Punkte kommt, laufen kleine Filmchen
ab, auf denen beruehmte Ex-Gefangene ihre Flucht schildern. Die "Beef
Eaters" hatten dann kleine Bluetooth-Sender in der Tasche, und wenn ma
ihnen zu nahe kam, war man "gefangen". Deren
Spiel-Konstruktions-Software kann wohl auch OSM-Daten nutzen, und man
kann auch Spiele herstellen, die nicht ein einen speziellen Ort gebunden
sind, sondern beim Spiel-Start automatisch z.B. eine nahegelegene
Kneipe, eine nahegelegene Kirche und eine vielbefahrene Strasse (o.ae.)
anhand der OSM-Tags als Spielorte auswaehlen. Klang alles sehr spannend
fuer mich (ich mag Spiele), eventuell kann man das auch staerker mit OSM
verknuepfen: www.mscapers.org
(Einige Vortraege, darunter den von Torsten Rahn ueber Marble, hab ich
verpasst, weil ich parallel einen Relations-Workshop abgehalten habe.)
Ziemlich interessant, wenn auch etwas lang, war auch der Vortrag von
Mikel Maron ueber Indien. Er hat zusammen mit Schuyler Erle und
finanziert von ein paar interessierten Organisationen in Indien eine
einmonatige Indien-Rundreise gemacht und dabei in 7 Staedten jeweils
OSM-Einfuehrungen und Mapping Parties abgehalten. Einerseits gab es da
eine Menge interessanter kultureller Einsichten (zum Beispiel die, dass
OSM zuweilen weit mehr ist als nur "du kannst eine Karte selbermachen" -
OSM ist in etwas konservativeren Gesellschaften auch ein "du kannst
*ueberhaupt* was selbermachen"). Andererseits auch spannend, dass man
sowas tatsaechlich finanziert bekommt - also wenn irgendeiner von Euch
irgendwelche Verbindungen in ein Land hat, in dem bislang wenig OSM
gemacht wird, stellt doch auch mal sowas auf die Beine. Schuyler und
Mikel sind wohl ueberall als grosse Experten gefeiert worden und mussten
immer erst langwierig erklaeren, dass sie nur "ganz normale Mapper" sind.
Ausserdem gab es eine Menge "lightning talks" und eine Menge "State of
..."-Talks ueber bestimmte Laender, allen voran natuerlich Jochens
10-Minuten-Turbo-Talk ueber unsere grandiosen Erfolge in .de - von den
vier Weinflaschen, die Ivan aus Spanien mitgebracht hatte, ging am Ende
auch eine an "die Deutschen" fuer ihre herausragende Leistung. Wir haben
sie stellvertretend fuer Euch ausgetrunken ;-) insgesamt waren glaube
ich so ca. 10 Leute aus Deutschland und 2 aus Oesterreich da, bei einer
Gesamtteilnehmerzahl von rund 120.
Soviel mal dazu. Es wurde die Devise ausgegeben, alle Fotos und
sonstiges Zeug, das man ins Netz hochlaedt, mit "SOTM08" zu taggen, also
evtl. werden ihr bei den einschlaegigen Web2.0-Seiten fuendig.
Bye
Frederik
--
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