[Talk-de] historic=ruins abreißen, historic=... aufräumen
Frederik Ramm
frederik at remote.org
Fr Sep 12 22:25:16 UTC 2008
Hallo Roman,
Deinen Enthusiasmus in Ehren, aber ich glaube, Du hast zu sehr die
(Hobby?)historiker-Scheuklappen auf. Du siehst eine Burg und hast vor
Deinem inneren Auge sofort eine Klassifizierung: Ah, klar, das ist eine
So-und-so-Burg, die muss natuerlich so-und-so getaggt werden, und alles
andere ist irgendwie "mangelhaft", "falsch", "muss aufgeraeumt werden".
Aber das stimmt nicht; die Burg ist mit genau der gleichen Korrektheit,
mit der sie fuer Dich eine so-und-so-Burg ist, auch eine
Touristenattraktion. (Oder sie kann es zumindest sein.) Oder ein
Restaurant. Oder eben alles.
Wenn eine Burg nur als Restaurant oder nur als Touristenattraktion
getaggt ist, dann ist das maximal "unvollstaendig" - es ist halt noch
niemand mit dem Blick fuer historische Bauwerke vorbeigekommen. Es ist
aber deswegen nicht "schlecht gepflegt".
Du ueberschaetzt m.E. auch die Notwendigkeit dieses "Putzen gehens"
gewaltig.
> Ich hatte auch keine Lust darauf, aber ich habe mir
> die Zeit genommen und mehrere Stunden in Jena alle „Strassen“ in
> „Straßen“, alle „von-Stein“ in „vom-Stein-Wege“ usw. verwandelt und
> prompt schnellte die Erfassungsquote schlagartig nach oben.
Fuer die praktische Anwendung ist es voellig gleichgueltig, ob eine
Strasse jetzt mit Eszett geschrieben ist oder nicht; jedes gute
Suchprogramm wird beides akzeptieren. Das einzige, was Du damit
verbessert hast, ist irgendeine von einem Computerprogramm ausgerechnete
Punktzahl. Wenn mich einer fragt, ob er lieber 5 Strassen mappen oder
eine Stunde Tippfehler verbessern sollte, die jedes fehlertolerante
Computerprogramm nicht stoeren wuerden - ich waere jedesmal fuer fuenf
weitere Strassen.
> Vermutlich hätte man einem Programm auch beibringen können, dass
> „Strassen“ und „Straßen“ fast dasselbe sind. Sven hat aber mir aber
> sehr deutlich zu verstehen geben, dass „Strassen“ einfach falsch ist
> und ich mich hinsetzen und das korrigieren soll, falls nicht alle
> diese als noch fehlend angeben werden sollen.
Halte ich fuer voellig ueberfluessig und ein typisches Beispiel davon,
wie sich Menschen von Maschinen versklaven lassen. Kann mir doch keiner
erzaehlen, dass es fuer *irgendeine* praktische Anwendung wirklich
wichtig ist, ob die Strasse jetzt ein sz hat oder nicht. Wenn es fuer
Dich ein persoenliches Anliegen ist, den Stadtplan "richtig"
auszudrucken und Dir jedes falsche "ss" in den Augen sticht, dann tu's -
aber tu es nicht, um auf irgendeiner willkuerlichen Skala von 75 auf 80
zu klettern. Dann lass Dir lieber von Sven seinen Quellcode geben und
bau' dort ein, dass ss und sz gleich behandelt werden bei der Ermittlung
der Punktzahl.
> Ich habe leider nicht allzuviel mit Datenbanken bisher gemacht, aber
> eines habe ich begriffen. Eine Datenbank einrichten ist schön, gut
> und wichtig. Aber die Daten auch zu pflegen und den Leuten
> hinterherzuräumen ist nicht weniger wichtig, bringt nur leider nicht
> so sichtbare Erfolge.
Ich finde, dass Du mit dieser Ausdrucksweise vom "Hinterherraeumen" die
Arbeit derer, hinter denen Du glaubst, aufraeumen zu muessen,
herabwertest - sie als minderwertig hinstellst.
> Insofern finde ich Kommentare wie "Wo ist das Problem?" ein klein
> wenig am Thema vorbei.
Eine solche Aussage kannst Du nur treffen, wenn Du Dir anmasst, das
Thema bestimmen zu duerfen ;-)
> Natürlich kann irgendwie mit solchen
> Unstimmigkeiten damit umgehen
Eben. In einigen Faellen mag es gut und wichtig sein, irgendwo von Hand
zusaetzliche Informationen einzufuegen, weil das der Computer nicht
kann. Aber einen *Menschen* damit zu beschaeftigen, ueberall artig aus
"30", "30 kmh", "30kmh", "30 km/h" usw. eine einheitliche Schreibweise
herzustellen, nur um der lieben Ordnung willen, ist eine Beleidigung
fuer die Intelligenz. Und auch nur anzudeuten, jemand, der sich die
Muehe gemacht hat, ein Tempolimit zu erfassen, habe mangelhafte Arbeit
geleistet, weil er eine Einheit angegeben hat, wo keine hingehoerte
("... muss man hier wieder hinterherraeumen...") ist m.E. nicht in Ordnung.
> Zusammenfassung: Ich denke, Datenpflege und ein gelegentlicher
> Herbstputz sind nicht verkehrt und führen nicht zwangsläufig dazu,
> dass hier alles nur noch stromlinienförmig in eine Richtung läuft und
> die Freigeister dem Projekt den Rücken kehren.
Es ist schwierig, das ganze so abstrakt zu diskutieren, man muesste ein
konkretes Beispiel haben. Im allgemeinen ist aber die Gefahr gross, dass
die, die heute, wie Du, danach rufen, man solle doch vereinzelt mal
"putzen", und dies selbst auch tun, morgen selbstverstaendlich danach
rufen, dass nicht zugelassen werden moege, dass irgendjemand die
muehevoll hergestellte Sauberkeit durch unbedachtes Hinzufuegen eines
unsauberen Artikels stoert. "Da mache ich mir jahrelang die Arbeit mit
den Burgen hier und dann kommen die Italiener und halten sich nicht an
mein Schema!!!!!", so in der Art.
Aber bei OpenStreetMap wird immer jemand kommen, der sich nicht ans
Schema haelt. Die Herausforderung liegt nicht darin, ein fuer Historiker
akzeptables Schema fuer Burgen auszudenken, sondern Wege zu finden, wie
man mit OSM interagieren kann, selbst wenn 99,99% der Mapper von Burgen
nichts verstehen. Das ganze ist kein statisches, sondern ein dynamisches
System. Es kommen immer neue Leute und Daten dazu. Was immer man sich
ausdenkt, muss fuer diese Leute verstaendlich sein, und ausreichend
"robust", um auch deren Mitarbeit zu verkraften. Es sind also Projekte
gefragt wie z.B. eine "OpenCastleMap", auf der historische Anlagen
verzeichnet sind, oder spezialisierte Aenderungs-Ueberwachung und/oder
Datenanalysen, so dass die Hobbyhistoriker immer voll im Bilde sein
koennen, und "putzend" eingreifen, wo es denn notwendig ist.
Aber noch was ganz anderes - wo ich Dich grad an der Strippe habe. Das
ist auch so ein Thema, das immer mal wieder von Historikerseite
aufkommt: Wie taggt man denn Sachen, die gar nicht mehr da sind? "Hier
stand von X bis Y die Soundso-Mauer"? Da gibt es die wildesten Ideen,
von eigenen, getrennten Datenbanken fuer historische Objekte bis hin zu
Tags der Art "from-date" und "to-date". Historiker wuenschen sich
natuerlich, aus OSM oder einer OSM-artigen Technik ggf. auch irgendwann
mal eine Karte einer Gegend von vor 500 Jahren herauszulassen... oder
von mir aus vor 200. Mit dem ganzen alten Mist kann man natuerlich den
durchschnittlichen OSM-User nicht erschlagen, da kommt ja alles
durcheinander. Andererseits gibt es ja durchaus Objekte, die einige 100
oder gar 1000 Jahre auf dem Buckel haben, und irgendwie waere es
unnatuerlich, wenn man jetzt unterschiedliche OSM-Datenbanken haette
fuer jede Zeit... Probleme ueber Probleme.
Dagegen sind ein paar als Touristenattraktionen getaggte Burgen doch
Peanuts ;-)
Bye
Frederik
--
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