[Talk-de] Ziele, Wege

Norbert Kück osm at nk-bre.net
Sa Jun 27 12:56:14 UTC 2009


(Vorsicht, viel Text)

Hallo,

mit zunehmendem Unbehagen beobachte ich die Entwicklung der
Diskussions"kultur" dieser Liste. Ich kann jetzt nicht mehr umhin, ein
paar Gedanken zu der Situation abzusondern. (Wohlgemerkt: Anmerkungen
zum derzeitigen Diskussionsverhalten möchte ich nicht verallgemeinernd
verstanden wissen.)

Da wird sich gegenseitig runter gemacht, als ginge es um den Listenplatz
der Bundestagskandidaten einer Partei. Man kann ja getrost verschiedener
Meinung sein, aber muss das denn dazu führen, den anderen in die Nähe
der Ecke "dumm und/oder bösartig" zu schicken?

Der Sache nützt es überhaupt nichts, wenn ich hier jemandem vor den Kopf
schlage. Was nützt es mir?

OSM ist eindeutig KEIN Beispiel für gescheiterte Basisdemokratie. OSM
war von Beginn (wie in der Open Source-Bewegung üblich) meritokratisch
(wer was macht hat die Macht), angereichert mit offenen
Meinungsbildungsstrukturen.

Ob man Regeln über bestimmte Meinungsbildungsprozesse erstellt oder
durch die normative Kraft des Faktischen (siehe Tagwatch), ist egal. 
Über deren Bestand entscheidet am Ende nur ein Kriterium:
Die  A K Z E P T A N Z  bei der breiten Masse der User.

Wir können hier diskutieren oder im Forum und erreichen nur ein schmales
Segment der Nutzerpopulation. Wenn eine Diskussion dann tatsächlich ein
einvernehmliches Ergebnis hat, wird das in der Regel nicht ausreichend
dokumentiert (Verweise auf das Listenarchiv erkenne ich nicht an. Das
ist für Leute, die eine schnelle Handreichung brauchen, unzumutbar).

Und nun auch noch das:
Wenn ich nicht mehr weiter weiß,
gründ' ich einen Arbeitskreis.

Und das soll dann so etwas wie ein repräsentativ-demokratisches Gremium
sein. Dass das hier funktioniert, kann ich nicht glauben. Seit zwei 
Jahrzehnten bin ich beruflich in Gremien für technisch-rechtliche 
Normsetzungen tätig. Da sitzen auch nur Menschen - und es menschelt. Man 
kann sich wunderbar stundenlang steiten, ob an einer Stelle eines 
Verordnungsentwurfs ein Komma oder ein Semikolon stehen soll und einigt 
sich schließlich auf einen Satz mit Doppelpunkt (habe ich genau so 
erlebt - kein Witz!). Solche Gremien leben von (auch inhaltlichen) 
Kompromissen. Sie haben aber den Nachteil, dass die große Welt da 
draußen nicht weiß, wie diese Kompromisse zustande gekommen sind und 
deshalb verständnislos mit kollektivem Kopfschütteln reagiert. Folge: 
Erneute heftige Diskussion mit den betroffenen Kreisen.
Das alles kann OSM sich schenken.

Nun komme ich zu meinem Betreff, weil ich die Zukunft für das
Entscheidende halte.
Nach meiner Einschätzung hat die überwiegende Mehrheit der
OSM-Beteiligten große gemeinsame Ziele. Es geht um die freie Weltkarte.
Mit "Weltkarte" meine ich den ganzen Komplex von den geobezogenen Daten
bis zu deren Anwendung. "Frei" ist noch genauer zu beschreiben, richtet
sich aber sowohl an die Nutzer der Weltkarte, als auch an alle, die zur
Weltkarte beitragen wollen.
Höre ich den Einwand "nichts Neues"? Na hoffentlich! Es geht mir um
Selbstverständliches - um das Selbstverständnis dieser Gemeinschaft,
denn scheinbar kommt dieses Wissen im Eifer der Diskussion manchmal dem 
Bewusstsein abhanden.
Die Auseinandersetzungen gehen aber zumeist um die Wege zum Ziel. Warum 
so heftig streiten? Geht es um die Meinungsführerschaft? Sind wir in der 
Situation von z.B. innerchristlichen Religionskriegen? Ich möchte davon 
ausgehen, dass hier in OSM die Kontrahenten ernsthaft auf der Suche nach 
den besten Verfahren sind. Schade, wenn die eigene Lösung in 
Gesetzesrang erhoben werden soll und dabei gegenseitige Achtung, 
Duldsamkeit und die die Fähigkeit zur Anerkennung eigener 
Irrtumsmöglichkeit und fremder gleichwertiger oder gar besserer Lösungen 
verloren gehen. Da braucht es einen besseren Umgang miteinander.

Meiner Ansicht nach brauchen wir (weiterhin) Regeln. "Verbindliche" 
Regeln in OSM kann ich mir nicht vorstellen, sondern nur welche im Sinne 
DIN und anderer: "Diese Regeln bilden den Stand der Technik ab. Wenn du 
sie anwendest, bist du auf der sicheren Seite und keiner tritt dir in 
die Kniekehlen. Du kannst auch abweichen, musst dann aber mit Nachfragen 
rechnen und darfst nicht damit rechnen, dass Anwendungen (z.B. Renderer) 
deine Daten auswerten."

Alternative: Strenge Regeln mit Strafandrohung. Dann
wären die Sittenwächter bald unter sich.

Wie können die Regeln entstehen? Nun, sooo schlecht ist das derzeitige
Verfahren nicht, wenn auch sicher verbesserungswürdig. Nicht OSM 
kaputtreden, sondern erste kleine Schritte zur Verbessserung machen. 
Beispielsweise: Keine Diskussion über How-To ohne Niederlegung des 
Ergebnisses im Wiki. Das bedeutet aber auch es entsprechend zu 
dokumentieren, wenn es keine Einigung gab.

Und bevor man nach (scheindemokratisch legitimierten) hierarchischen 
Strukturen ruft, sollte man mal ein paar Monate etwas intensiver bei 
de.wikipedia.org mittun. Diese Strukturen sorgen nicht für weniger 
Streit, sondern schaffen zusätzliche Anlässe. Und sie schaffen 
zusätzliche Institutionen zur Behandlung von Machtmissbrauchsvorwürfen 
und ähnlichen Konflikten zwischen den Ebenen. (Wie das läuft, konnte man 
ja schon anlässlich der Lizenzumstellungsdiskussion ansatzweise 
beobachten.) Auch das sollte OSM vermeiden.

Auf der Seite der Datengewinnung und -pflege muss der 
Gelegenheitsmapper, der sein lokales Wissen einbringen möchte, genau so 
  gut Zugang finden können, wie der Profi, der hochspezialisierte Daten 
spenden kann. Die Aufgabe ist nicht gerade trivial! Jede Regelsetzung 
muss sich m.E. daran orientieren. Ich bin sicher, dass wir das mit neuen 
Strukturen, die auch erst einmal eingerichtet und arbeitsfähig werden 
müssen, nicht besser schaffen können. Aber vielleicht haben die 
Unternehmensberater unter uns ein paar Tipps, wie wir besser werden 
können, ohne gleich alles über Bord zu kippen.

Gruß
nk






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