[Talk-de] Craftmapping

Mark Obrembalski mark at obrembalski.de
Fr Jan 5 16:49:35 UTC 2018


Am 04.01.2018 um 15:39 schrieb Frederik Ramm:
> Hallo,
> 
>     mich treibt seit einigen Monaten eine Idee um. Mir scheint, dass das
> "Craftmapping" bei OSM und vorallem auch im "politischen" Bereich, der
> OSMF, zunehmend unter den Tisch fällt.
> 
> "Craftmapping" (zu deutsch: "handwerkliches Kartieren"?) ist in meinen
> Augen die traditionelle OpenStreetMap-Arbeit: eine Gegend, die man
> selber kennt, mit allen verfügbaren Mitteln (vorallem mit Ortsbegehung)
> auf die Karte zu bringen.

Das ist sicher etwas, was nicht unter den Tisch fallen sollte, denn 
vieles ist auf andere Weise gar nicht in guter Qualität zu ermitteln. 
Aber nimmt diese Art zu mappen denn tatsächlich ab? Und welche 
unerfüllten Wünsche haben Craftmapper an die OSMF?

> Da können Luftbilder schon eine Rolle spielen,
> aber "Craftmapping" ist sicherlich nicht das großangelegte Abpinseln
> eines Luftbildes in einem Land, dessen Kultur mir fremd ist,

In manchen Fällen, etwa bei dünn besiedelten Gebieten, ist das aber 
wahrscheinlich die beste Möglichkeit, überhaupt eine Karte zu 
produzieren, die mehr als das Straßennetz und seine direkte Umgebung 
enthält. Um etwa Seen, Bäche und Waldumrisse in den schottischen 
Highlands oder in Nordskandinavien einzutragen, braucht man keine 
besonderen Kenntnisse der dortigen Kultur, und die wenigen Mapper, die 
da oben wohnen, sind vermutlich auch nicht böse, wenn sie nicht jedes 
kleine Gewässer selbst eintragen müssen.

> und sicherlich auch kein Datenimport

Doch, zum Kartieren "mit allen verfügbaren Mitteln" können auch 
Datenimporte gehören; es haben ja auch schon viele Craftmapper mit viel 
Mühe und wechselndem Erfolg bemüht, z.B. bei ihrer Gemeindeverwaltung 
importierbare Daten zu bekommen. Bei Gemeindegrenzen etwa ist außer 
durch Importe kaum etwas zu machen, aber auch bei irgendwelchen Objekten 
tief im Bergwald ist das vielleicht die realistischste Möglichkeit.

> und keine Anwendung von künstlicher
> Intelligenz, um auf Luftbildern Straßen erkennen zu können.

Straßen kann ich als Craftmapper natürlich abfahren und habe dann nicht 
nur zuverlässigere Informationen, sondern auch solche, die das Luftbild 
einfach nicht liefert. Wenn es aber eine Anwendung gäbe, die aus einem 
Luftbild einigemaßen zuverlässig automatisch die Hausumrisse herausholt, 
so dass ich das nur noch überprüfen und ggf. korrigieren muss, statt 
Haus für Haus abzupinseln, dann fände ich das als Craftmapper sehr 
erfreulich und würde das auch benutzen. Da vermisse ich einfach 
Projekte, bei denen auch wirklich etwas Bemerkenswertes herausgekommen wäre.

> All diese anderen Dinge können auch interessant sein und Spass machen,
> aber sie sind in meinen Augen nachrangig. Ich mappe auch gern mal als
> "Luftbildtourist" irgendwo in fremden Landen oder schreibe ein Programm,
> das irgendwas ändert, aber mir ist dabei klar, dass OSM nie zu dem
> geworden wäre, was es heute ist, wenn sowas die normale Herangehensweise
> wäre.

Richtig, auf die Vorzüge des Mappens nah am Objekt und mit 
Hintergrundkenntnissen sollte man natürlich hinweisen, wenn die 
neuerdings nicht mehr so bekannt sein sollten. Wobei das Abpinseln von 
coastlines und riverbanks in fernen Landen eigentlich immer auch zur 
normalen Herangehensweise gehört hat.

> Das alte Mapping-Handwerk wird aber zusehends mit Füssen getreten. Es
> vergeht keine Woche, in der nicht wieder irgendwo jemand jammert, dass
> man ohne einen groß angelegten Import ja niemals alle Häuser in Kanada
> oder alle Tankestellen in England mappen könnte, weil es viel zu viel
> Arbeit sei.

Was die Häuser in Kanada angeht, dürfte das sogar stimmen. Weite Teile 
des Landes sind dünn besiedelt und dazu bewaldet. Auf Luftbildern sieht 
man vieles nicht ("weil Baum" ist hier ausnahmsweise mal eine sinnvolle 
Erklärung), und das weite Land nach der letzten Hütte durchsuchen und 
dann noch deren Umrisse genau einmessen werden die kanadischen 
Craftmapper wohl nicht. Wenn die bezahlten Mapper von den kanadischen 
Katasterämtern uns ihre Ergebnisse zur Verfügung stellen, sollten wir 
die also nutzen. Natürlich mit offenen Augen.

> Es beschäftigen sich mittlerweilse Leute beruflich mit
> OpenStreetMap, denen nach eigener Aussage ihre Zeit zu schade ist, um
> fehlende Daten an ihrem Wohnort zu erfassen; man könne mehr zu OSM
> beitragen, heisst es dann, indem man seine anderen Qualitäten in den
> Dienst der Sache stellt, als Projektleiter in einem Datenimport-Projekt
> oder sonst irgendwas.

Geht es ihnen da um ihre Arbeitszeit (dann stimmt das wahrscheinlich, 
denn fürs Vervollständigen ihres Wohnorts werden sie vermutlich nicht 
bezahlt, während der Import eben für ihren Arbeitgeber nützlich ist), 
oder meinen sie das allgemein?

> Ich finde das alles sehr bedauerlich; das Craftmapping ist meiner
> Ansicht nach identitätsstiftend für OpenStreetMap. Es ist das, was uns
> als Community zusammenhält, worüber wir reden können, wenn wir uns
> treffen, es ist das Boot, in dem wir gemeinsam sitzen.

Wobei sich natürlich das Boot über die Jahre immer wieder geändert hat. 
Als in größerem Ausmaß gute Luftbilder für uns verfügbar wurden, hat 
sich die Art zu mappen doch z.B. deutlich geändert, und ich erinnere 
mich an nicht wenige Stimmen, die fanden, dass das Abzeichnen von 
Luftbildern doch kein richtiges Mappen sei. Heute würde man wohl eher 
eine Gegend, in der noch keiner Luftbilder ausgewertet hat, wohl eher 
als nicht richtig gemappt ansehen.

> "Craftmapper", mich eingeschlossen, werden leicht in die Ecke der Ewig
> Gestrigen gestellt - Leute, die immer nur "gegen" alles Neue sind. Was
> ich gern erreichen würde, ist dass "Craftmapping" wieder etwas positives
> ist, dass man hervorhebt, was daran gut und wichtig ist,

Ja, was sich alles eben nur erfassen lässt, wenn man wirklich auch vor 
Ort gewesen ist, darauf sollte man natürlich immer wieder aufmerksam 
machen. Den Eindruck, deswegen gegen den Einsatz neuer Möglichkeiten zum 
Mappen zu sein, sollte man freilich vermeiden.

> dass
> Craftmapping ein Breitensport ist (im Gegensatz zum anderen sehr
> IT-lastigen Disziplinen in OSM, die nur einer viel kleineren Gruppe
> offenstehen).

Wobei etwa Importe jetzt nicht nur IT-lastig sind. Erst mal den 
Rechteinhaber überzeugen, die Daten rauszurücken. Dann nachprüfen, ob 
die Lizenz auch mit unseren Anforderungen vereinbar ist. Dann schauen, 
ob die Daten auch was taugen...

Und Craftmapping kann auch schnell IT-lastig genug werden, ich erinnere 
mich mit Schaudern an das "GPX", das mein GPS ausgegeben hat, OSM dann 
aber nicht akzeptieren wollte.

> Irgendwie gibt es niemanden, der für das Craftmapping eine Lanze bricht.
> Die Craftmapper machen alle so ihr Ding und interessieren sich wenig für
> den Rest. In der OSMF, die ja immerhin einige wichtige Dinge in OSM zu
> entscheiden hat, sind sie vermutlich mittlerweile sogar in der
> Minderheit, hinter denen, für die OSM zuvorderst ein Technikprojekt oder
> ein humanitäres Projekt ist. Auch das ist ein Problem.

Dass die Mitgliedschaft in der OSMF nicht repräsentativ für die 
Beteiligten bei OSM ist, sehe ich tatsächlich als ein gewisses Problem. 
Allerdings denke ich eher, dass da nicht die Einordnung des Projekts 
direkt entscheidend ist, sondern eher, ob sich jemand einen Vorteil 
(materieller oder ideeller Art) davon verspricht, auf die Tätigkeit der 
OSMF einen Einfluss zu haben. Und da sind wir wieder bei der Frage: Was 
sollte die OSMF für die Craftmapper oder Hobbymapper tun, was sie nicht 
schon tut oder zu wenig tut oder vielleicht bald zu wenig tut?

> Ich möchte, dass man mit Stolz sagen kann: Ich bin ein Craftmapper,
> Leute wie ich haben das hier aufgebaut. Und nicht nur ein paar
> Großmäuler, sondern alle - *gerade* auch die, die keine Computer-Gurus
> sind und halt einfach mal ein paar Daten in ihrem Stadtviertel erfasst
> haben.

Das sollte man vielleicht einfach mit Stolz sagen? Bitte aber nicht mit 
schiefem Blick auf die Computer-Gurus, die u.a. die ganzen schönen 
Programme geschrieben haben, mit denen man die Informationen in die 
Datenbank und wieder heraus bekommt.

Gruß,
Mark




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